Was darf ich eigentlich, oder Delegieren für Fortgeschrittene mit dem Delegation Poker
- Susanne Wesner
- 8. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
"Wir brauchen jemanden, der das entscheidet!" Diesen Satz höre ich häufig in Teams, die selbstorganisiert arbeiten. Diesen Teams wird dann schnell mal eine Scheu vor der Übernahme von Verantwortung unterstellt. Allerdings stellt sich die Frage, wo diese Scheu herkommt. Nach meiner Erfahrung tut es Menschen gut, sich wirkmächtig zu fühlen. Weshalb wird dennoch so oft der Ruf nach Vorgesetzten laut, die jetzt bitte endlich mal entscheiden sollen?
In vielen Fällen lautet die Antwort auf diese Frage schlicht und ergreifend: Unsicherheit. Es ist einfach nicht klar, wie weit ein Team seine Entscheidungsfreiheit ausdehnen darf. Nicht selten kommt es dadurch zu Pendelbewegungen zwischen Kompetenzüberschreitung auf der einen und Passivität auf der anderen Seite, schlimmstenfalls bis hin zur totalen Blockade.
Delegation Poker ist eine Methode aus dem Management 3.0. Sie geht davon aus, dass Delegation kein binärer Vorgang ist und definiert sieben Stufen der Delegation.
Level | Bedeutung |
1 - Tell | Ich bin als Manager für die Entscheidung/Aufgabe zuständig und werde das Team über die Ergebnisse informieren |
2 - Sell | Ich bereite als Manager die Entscheidung vor und versuche sie dem Team "zu verkaufen" |
3 - Consult | Ich werde mich als Manager mit dem Team beraten und dann entscheiden |
4 - Agree | Wir entscheiden gemeinsam. |
5 - Advice | Ich werde als Manager das Team beraten, die Entscheidung trifft aber das Team. |
6 - Inquire | Das Team entscheidet und ich als Manager erkundige ich mich im Nachgang, welche Entscheidung getroffen wurde. |
7 - Delegate | Volle Delegation. Ich gebe als Manager die Aufgabe komplett ab und vertraue auf die Fähigkeit des Teams. |
Wozu ist das gut?
Im Rahmen von agilen Changeprozessen werden viele traditionelle Rollen in Frage gestellt, wie z.B. Teamleiter und Projektmanager. Dadurch entsteht häufig ein Führungsvakuum, dass zu Verunsicherung auf beiden Seiten führt. Teams sind verunsichert und wissen nicht wie und welche Entscheidungen sie im Rahmen der Selbstorganisation nun treffen sollen. Manager sind sich unsicher, wie weit sie zurücktreten sollen, um dem Team ausreichend Gestaltungs- und Wachstumsspielraum geben zu können und wie ihre Rolle in einem agilen Umfeld konkret aussieht. In dieser Situation kann man in einer Matrix die wichtigsten zu treffenden Entscheidungen erfassen und mit Hilfe des Delegation Poker aushandeln, wer dafür in welchem Maß verantwortlich sein soll.
Neben der Frage nach der Verortung von Führungsaufgaben kann Delegation auch gut innerhalb eines selbstorganisierten Teams genutzt werden, um Klarheit über Verantwortlichkeiten zu schaffen. Das ist insbesondere dann hilfreich, wenn es keine klaren Rollenabgrenzungen gibt, wie gelegentlich bei Projektleiter, PO, technischem Projektleiter, Service Manager ....
Ein praxisnahes Beispiel
Stellen wir uns ein agiles Entwicklungsteam vor, das regelmäßig in Sprint-Meetings diskutiert, wer welche Entscheidungen treffen darf. Es gibt immer wieder Unsicherheiten, beispielsweise bei der Priorisierung von Anforderungen oder der Auswahl von Technologien. Während einige Teammitglieder überzeugt sind, dass sie diese Entscheidungen eigenständig treffen sollten, erwarten andere eine klare Ansage vom Management. Hier kann Delegation Poker helfen, Klarheit zu schaffen.
Ablauf der Delegation Poker Session
Vorbereitung: Der Moderator sammelt gemeinsam mit dem Team typische Entscheidungsfelder, die geklärt werden sollen. Dazu können gehören:
Auswahl von Technologien und Tools
Priorisierung von Anforderungen
Einstellung neuer Teammitglieder
Budgetverwendung für externe Dienstleister
Kommunikation mit Stakeholdern
Kartenauswahl: Jedes Teammitglied und die Führungskraft erhalten ein Set Delegation Poker-Karten mit den sieben Stufen.
Entscheidungsrunde: Die Beteiligten wählen geheim eine Karte, die ihre bevorzugte Delegationsstufe widerspiegelt.
Aufdecken & Diskussion: Alle decken gleichzeitig ihre Karten auf. Gibt es große Unterschiede, wird diskutiert, warum bestimmte Stufen gewählt wurden.
Konsens finden: Das Team und die Führungskraft bestimmen gemeinsam eine passende Stufe und schließen bei Bedarf Kompromisse.
Dokumentation: Die finalen Delegationsstufen werden in einer Delegationsmatrix festgehalten und regelmäßig überprüft und angepasst.
Durch diesen strukturierten Ablauf kann sich beispielsweise herausstellen, dass das Team die Wahl der Technologien eigenständig trifft (Level 6 oder 7), während die Budgetverwendung eine gemeinsame Entscheidung bleibt (Level 4) und bei der Einstellung neuer Teammitglieder die Führungskraft das letzte Wort hat (Level 3). Dieser Prozess hilft Teams und Führungskräften, Unsicherheiten zu reduzieren und Entscheidungsprozesse klar und nachvollziehbar zu gestalten.
Die Vorteile von Delegation Poker
Diese Methode hilft Teams und Führungskräften auf mehreren Ebenen:
Klarheit schaffen: Anstatt in Unsicherheit zu verharren oder nach Macht zu greifen, wissen alle, wie Entscheidungen getroffen werden.
Vertrauen aufbauen: Führungskräfte lernen, Verantwortung abzugeben, und Teams bekommen mehr Sicherheit in ihren Entscheidungsfreiheiten.
Transparenz erhöhen: Entscheidungen und Verantwortlichkeiten sind für alle nachvollziehbar.
Konflikte reduzieren: Da die Entscheidungsbereiche gemeinsam definiert werden, entstehen weniger Missverständnisse.
Anpassbarkeit ermöglichen: Die Delegationsmatrix ist nicht in Stein gemeißelt – sie kann regelmäßig überprüft und angepasst werden.
Fazit
Delegation Poker ist eine wertvolle Methode, um Unsicherheiten in selbstorganisierten Teams zu reduzieren und Führung neu zu definieren. Statt in einem Schwarz-Weiß-Denken von "Der Chef entscheidet alles" oder "Wir machen einfach, was wir wollen" zu verharren, ermöglicht sie einen fließenden Übergang der Verantwortung. Wer Delegation nicht als einen einmaligen Akt, sondern als einen dynamischen Prozess betrachtet, schafft ein Umfeld, in dem sowohl Teams als auch Führungskräfte wachsen können.
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