Unternehmen in Jogginghosen
Vor nicht allzu langer Zeit ist der Modezar Karl Lagerfeld gestorben. Nicht, dass ich viel mit Mode am Hut hätte, schon gar nicht mit der Mode irgendwelcher Stardesigner. Wenn nun aber so ein Star die Bühne für immer verlässt, ist es Brauch, so ziemlich überall über sein Lebenswerk zu berichten. Im Falle von Karl Lagerfeld taucht dann mit ziemlicher Sicherheit das folgende Zitat auf:
"Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“
(Karl Lagerfeld in einer ZDF-Talkshow im April 2012)
Aus oben genanntem traurigen Anlass ist mir dieses Zitat in den letzten Tagen häufiger zu Ohren gekommen. Ich würde es so nicht unterschreiben - auch wenn ich selbst das Haus jetzt nicht unbedingt in Jogginghose verlassen würde. Aber ich habe es nicht so mit Pauschalisierungen. Als ich nun also vor kurzem mal wieder mit diesem Satz konfrontiert wurde, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf:
Gibt es auch sowas wie Unternehmen in Jogginghose?
Wie würde so ein Unternehmen wohl aussehen?
Es fehlt die Verantwortung für das große Ganze.
„Dafür bin ich nicht zuständig“ ist ein allgegenwärtiger Satz.
Jeder denkt bis maximal an die Grenze seiner Abteilung.
Mitarbeiter erwarten, dass der Chef alle Probleme dieser Welt löst.
Der Chef erwartet, dass das mittlere Management alle Probleme dieser Welt löst. (Deshalb verdienen die Jungs ja schließlich so viel)
Wieso etwas ändern, wo wir doch die letzten n Jahre mit dem Alten erfolgreich waren? Unsere Kunden werden schon zurückkommen, wenn sie erstmal gemerkt haben, dass die Konkurrenz auch nur mit Wasser kocht.
Du kannst locker vier von fünf Tagen komplett in Koordinierungskreisen, Lenkungsausschüssen, Statusmeetings u.Ä. verbringen.
Die goldene Regel lautet „Wer schreibt, der bleibt.“ Direkte zwischenmenschliche Kommunikation findet nicht statt.
Aber wie kommt ein Unternehmen wieder raus aus der Jogginghose?
Dass diejenigen, die realisieren, dass sich etwas ändern muss, zu agiler Transformation greifen, ist heutzutage ein gängiger Reflex. Da werden dann Berater und Coaches eingekauft, deren Briefing lautet: "Einmal agil bitte - und zwar möglichst schnell und schmerzlos"
Aber Veränderung braucht Zeit und nachhaltige Veränderung braucht zusätzlich noch ein gerüttelt Maß an Partizipation. Ein Mitarbeiter, der nur nachturnt, was ein Berater vorturnt, wird auf einen neuen Vorturner warten, sobald eben dieser Berater nicht mehr da ist. Ein nachhaltiger Veränderungsprozess ist deshalb gekennzeichnet von zwei wichtigen Punkten:
Er nimmt die Widerstände der betroffenen Menschen gegen die Veränderung ernst.
Er weiß um die Gefahr des Zurückfallens in alte Muster und beugt dem vor.
Eine Möglichkeit, sich dem Thema zu nähern, ist das Change Management Modell von John P. Kotter. Kotter schlägt in diesem Modell acht Phasen zur Umsetzung einer Veränderung in der Organisation vor.
1. Dringlichkeit aufzeigen
Am Anfang steht das WARUM und schon diese erste Phase hat es ordentlich in sich. Hier geht es darum, sowohl auf Führungspositionen- als auch auf Mitarbeiterebene ganz klar die Notwendigkeit einer Veränderung herauszuarbeiten. Wer es hier schafft, glaubhaft die Risiken ausbleibender Veränderung aufzuzeigen und mit starken Argumenten zu belegen, hat gute Chancen, am Ende erfolgreich zu sein und nicht in die Cargo-Kult-Falle zu tappen.
2. Führungskoalition aufbauen
Wer Punkt 1 gemeistert hat, dem sollte es nicht schwer fallen, ein Team an Vorreitern zusammenzustellen, die für die angestrebte Veränderung brennen und diese aktiv vorantreiben wollen. Dabei sollten im so entstehenden Change-Team alle beteiligten Bereiche des Unternehmens vertreten sein. Aber Obacht - diese Koalition der Willigen muss nicht nur wollen, sondern auch können und dürfen. In der Praxis ist das oftmals eine Frage von Kapazitäten. Der motivierteste Mitarbeiter wird sehr schnell ausbrennen, wenn er die Aufgaben aus dem Change-Prozess zusätzlich zu seinen bisherigen Aufgaben stemmen soll. Ein Change ist eine Investition in die Zukunft. Das diese lohnenswert ist, wurde in Schritt 1 des Modells bereits eruiert. Jetzt gilt es, diese Investition auch zu tätigen.
3. Vision und Strategie entwickeln
Über Sinn und Unsinn von Visionen wird und wurde schon an vielen Stellen vortrefflich diskutiert. Die Kritiker zitieren gern Helmut Schmidt, die Befürworter Joel Baker. Ich persönlich halte einen Fixstern für ungeheuer hilfreich, um die Richtung halten zu können, wenn es mal turbulent wird im Change-Prozess. Aus meiner Erfahrung ist es bei der Entwicklung einer solchen Vision essentiell, eine möglichst breite Basis an Mitarbeitern mit einzubeziehen. Das macht den Weg dorthin zwar um einiges anstrengender, dafür ist die Akzeptanz des Ergebnisses aber deutlich höher.
4. Die Vision kommunizieren
Hier ist es nicht damit getan, die Vision einmalig auf der Betriebsversammlung zu verkünden und dann auf das Beste zu hoffen. Es gilt, die Message immer wieder zu verbreiten, verbal und non-verbal. Ich setze gern auf die Macht der Bilder. Liebevoll gestaltete Poster an strategisch günstigen Stellen - also z.B. in unmittelbarer Nähe zur Kaffeemaschine - können wahre Wunder wirken.
5. Hindernisse aus dem Weg räumen
Das klingt jetzt sicher etwas sinnfrei, aber Change bedeutet Veränderung. In der Praxis sehe ich jedoch immer wieder, das dem Kind lediglich ein neuer Name verpasst wird, die Struktur drumherum aber unverändert bleibt. Da heißt der Teamleiter dann plötzlich Scrum Master und schreibt weiter fleißig Dienstpläne für sein Team. Deshalb ist es wichtig, die vorhandenen Strukturen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen, wenn sie die angestrebten Veränderungen ausbremsen.
6. Kurzfristige Erfolge sichtbar machen
Nichts ist motivierender als Erfolg. Leider ist so ein umfangreicher Veränderungsprozess wie eine agile Transformation eher ein Marathon als ein Sprint. Es lohnt sich also, kleinere Etappenziele zu definieren und diese auch transparent zu machen und zu feiern. Dabei ist etwas Augenmaß von Nöten. Werden zu kleine Ziele zu groß gefeiert, leidet die Glaubwürdigkeit, wartet man zu lange, bleibt die Motivation auf der Strecke.
7. Veränderung weiter vorantreiben
"Wann ist das denn endlich vorbei mit der ganzen Veränderung?" Diesen Stoßseufzer hört man insbesondere in großen Unternehmen nur allzu häufig. Die - je nach Perspektive - hoffnungsvolle oder frustrierende Antwort darauf: eigentlich nie! Auch ein noch so gut strukturierter Veränderungsprozess ist selbst der sich verändernden Realität ausgesetzt und muss regelmäßig einer Überprüfung und wenn nötig auch einer Anpassung unterzogen werden. Wie oft das geschehen sollte, ist vom jeweiligen Kontext abhängig. Die Veränderungszyklen in den verschiedenen Branchen können stark variieren. Dementsprechend sollten auch die Zyklen im Unternehmen angepasst werden. Denn schließlich ist Veränderung kein Selbstzweck.
8. Veränderungen in der Unternehmenskultur verankern
Unternehmenskultur - wieder so ein Buzzword, über das sich trefflich streiten lässt. Da gibt es die hübschen Glückskeks-Weisheiten wie "Culture eats strategy for breakfast" oder "Unternehmenskultur ist readonly". Fakt bleibt, dass es sowas wie eine Unternehmenskultur gibt und dass die Passgenauigkeit zwischen Unternehmenskultur und veränderten Prozessen einen Einfluss darauf hat, wie groß die Gefahr eines Zurückfallens in alte Muster ist. Solange hier also noch eine große Lücke klafft, ist Wachsamkeit geboten.
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