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AutorenbildSusanne Wesner

Risiken und Nebenwirkungen bei der Arbeit mit Werten


Sie sind in aller Munde. Kaum ein Unternehmen verzichtet heutzutage darauf, Werte zu definieren. Das passiert in der Regel in wohlstrukturierten Workshops mit vielen bunten Zetteln an der Wand. Am Ende sind auch alle Teilnehmer glücklich, weil sie so tolle, positive und passende Werte gefunden haben. Diese werden dann auf große Plakate gedruckt und in den Fluren aufgehängt. Happyend.


Es wird nach einem Happyend

im Film jewöhnlich abjeblendt.

Man sieht bloß noch in ihre Lippen

den Helden seinen Schnurrbart stippen --

da hat sie nu den Schentelmen.

Na und denn -?

(aus "Danach" von Kurt Tucholsky)


Auch wenn Kurt Tucholsky in seinem Gedicht "Danach" auf die Tücken und Untiefen des menschlichen Miteinanders in der Partnerschaft abzielt, lässt sich die Frage nach dem "Na und denn -?" auch gut auf unser Workshop-Happyend übertragen, denn die Werte-Arbeit fängt mit dem erfolgreichen Finden sinnhafter Unternehmenswerte erst an.


Sich als Unternehmen mit den eigenen Werten auseinander zu setzen, macht aus mannigfaltigen Gründen durchaus Sinn.


Werte helfen zu entscheiden, was wichtig ist und geben Orientierung.


Gerade in selbstorganisierten Teams, wenn Entscheidungen an der Basis getroffen werden, können Werte einen wichtigen Rahmen geben, der die Entscheidungsfindung in der Gruppe erleichtert. Werte sind per se also erstmal eine gute Sache. Wo liegt also das Problem? Warum reicht es nicht aus, die Werte im Unternehmen zu kommunizieren und zuzusehen, wie sie ihre Wirkung entfalten?


Werte sind kontextabhängig.


Ein Wert, der häufig im Kontext von Unternehmenswerten auftaucht und der auch zum im Scrumguide adressierten Wertekanon gehört, ist Mut. Aber was bedeutet Mut? Und was bedeutet Mut in einem Unternehmen?

Ich habe absolut kein Problem damit, mich mit einem Mikro vor eine große Menge Menschen zu stellen und einen Vortrag zu halten, während einem Kollegen vielleicht schon bei dem Gedanken daran, im nächsten Review-Termin die Sprint-Ergebnisse vorstellen zu müssen, der Angstschweiß auf die Stirn tritt. Bin ich deshalb mutig und er nicht? Der Kollege beherrscht übrigens kühne Sprünge in der Halfpipe während ich ausschließlich blaue Pisten befahre und mich dort regelmäßig zwischen den Gruppen der Kinder-Skischule wiederfinde. Ein und dieselbe Person kann also in unterschiedlichen Kontexten einen Wert mehr oder weniger stark leben.


Werte werden unterschiedlich wahrgenommen.


Bleiben wir bei unserem Beispiel mit dem Mut. Für meinen Kollegen mag es mutig erscheinen, wenn ich einen Vortrag halte. Ein professioneller Keynote Speaker hält das aber vielleicht für leichtsinnig, weil er meine Leistung als Vortragende mit einem anderen Maßstab misst und deshalb befürchtet, ich könnte mich blamieren. Ebenso bewundere ich meinen Kollegen für seine Künste in der Halfpipe, während seine Mutter vielleicht über diesen Leichtsinn schimpft. Und in der Tat ist das eine spannende Frage: Wo hört Mut auf und wo fängt Leichtsinn an?


Wir kommen nicht als unbeschriebenes Blatt in ein Unternehmen.


Unsere persönlichen Werte sind tief in uns verwurzelt und wir haben sie über einen langen Zeitraum erworben. Es wäre illusorisch anzunehmen, dass diese Werte auf Knopfdruck überschrieben werden können. Es auch ganz sicher nicht möglich, in einem Unternehmen mit mehreren 100 oder gar 1000 Mitarbeitern ein Werteset zu finden, mit dem sich jeder gleichermaßen identifizieren kann. An dieser Stelle hilft es übrigens, dass Werte kontextabhängig sind. So fällt es leichter, im beruflichen Kontext Werte zu leben, die nicht zwingend deckungsgleich mit den persönlichen Werten sind.


Wie können Werte dennoch erfolgreich im Unternehmen etabliert werde?


Werte kann man nicht lehren, nur vorleben.

(Victor Frankl)


Neben dem stetigen Dialog ist es wichtig, die Werte auch zu leben und das sichtbar zu machen, und zwar über alle Hierarchieebenen hinweg. Der Satz "Ich muss nicht höflich sein, ich bin der Chef.", trägt ganz sicher nicht dazu bei, dass der Wert Respekt im Unternehmen Bedeutung erhält; ganz egal auf wie vielen kreativ gestalteten Postern das steht.

Im gemeinsamen Dialog können auch die Grenzen zwischen dem positiven Kern eines Wertes und seiner Übertreibung ausgelotet werden. In diesem Zusammenhang arbeite ich gern mit dem Wertequadrat, wie es von Friedemann Schulz von Thun im zweiten Band der "Miteinander reden" Reihe beschrieben wird. Schulz von Thun erläutert dort, dass jeder Wert in einem positiven Spannungsverhältnis zu einem gegenpoligen Schwesternwert steht. Dieses Spannungsverhältnis hilft, um die entwertende Übertreibung eines Wertes zu verhindern. Schauen wir uns das für unser praktisches Beispiel Mut an. Der gegenpolige positive Schwesternwert könnte in diesem Fall Besonnenheit sein.



Friedemann Schulz von Thun - Wertequadrat - Mut & Besonnenheit

Ignoriert man die Besonnenheit komplett und löst so das Spannungsverhältnis auf, droht eine übersteigertes Ausleben des Wertes. Aus Mut wird dann schnell Leichtsinn.



Friedemann Schulz von Thun - Wertequadrat - Mut, Besonnenheit & Leichtsinn

Ebenso mündet übertriebene Besonnenheit in Feigheit. Ein Wertekonflikt entsteht immer dann, wenn in der zwischenmenschlichen Interaktion konträre Gegensätze auftreten, wenn sich also zum Beispiel ein mutiger Mensch einem seiner Meinung nach feigen Menschen gegenüber sieht.



Friedemann Schulz von Thun - Wertequadrat - Mut, Besonnenheit, Leichtsinn & Feigheit

Das Wertequadrat kann Scrum Mastern, Coaches und Führungskräften helfen, den positiven Kern eines vermeintlich unerwünschten Verhaltens bei Mitarbeitern zu erkennen und sowohl die eigenen Werte auf Übertreibungen zu überprüfen als auch im Gespräch mit der betroffenen Person Entwicklungsmöglichkeiten weg von Übertreibungen und hin zu einem ausgewogenen positiven Spannungsverhältnis zu erschließen. Wichtig dabei bleibt, den Wertekanon einer Person anzuerkennen. Es ist nichts falsch an einem besonnenen Menschen und er muss nicht "repariert" oder irgendwie "erleuchtet" werden. Das Wertequadrat ist ein probates Mittel, um die Kommunikation zu verbessern, das gegenseitige Verständnis zu erhöhen und ein stückweit zur Selbstreflexion anzuregen.


Das Schöne am Wertequadrat ist, dass ich an jeder beliebigen Ecke einsteigen kann, um mehr Klarheit über einen Konflikt zu bekommen. Angenommen, mich ärgert das dominante Auftreten meines Chefs. Ich gehe also davon aus, dass Dominanz die entwertende Übertreibung eines positiven Wertes ist. Jetzt kann ich mich im Wertequadrat in zwei Richtungen bewegen.

Eine Variante ist die Suche nach der Überkompensation von Dominanz. Dabei komme ich auf Unterwürfigkeit als überkompensiertem Schwesternwert. Als positiven Kern von Unterwürfigkeit identifiziere ich Respekt. Jetzt gilt es also den Schwesternwert zu finden, der in einem positiven Spannungsverhältnis zu Respekt steht. Das könnte zum Beispiel Selbstbehauptung oder auch eine Machermentalität sein. Ebensogut hätte ich mich andersherum durch die Ecken des Quadrates arbeiten und zuerst nach dem positiven Kern von Dominanz forschen können. In jedem Fall kann mir die so gewonnene Erkenntnis helfen, besser mit meinem Chef zu kommunizieren und ihn besser zu verstehen. Das ganze funktioniert natürlich auch für Chefs, die ihre Mitarbeiter besser verstehen wollen ;-)



Friedemann Schulz von Thun - Wertequadrat - Respekt, Macher, Unterwürfigkeit & Dominanz

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