Agile Fehlerkultur
Fehler sind allgegenwärtig und unvermeidbar, insbesondere wenn neue Wege beschritten werden. Die Fehlerkultur, also die Art und Weise, wie eine Gesellschaft oder Organisation mit Fehlern umgeht, spielt eine wichtige Rolle für unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit. Wie kreativ, innovativ und kollaborativ Teams zusammenarbeiten und mit Transformation umgehen, wird durch die Fehlerkultur maßgeblich beeinflusst. In diesem Blogartikel möchte ich anhand meiner persönlichen Erfahrungen - den ersten Wochen bei step IT up Consulting - die Bedeutung einer agilen Fehlerkultur konkret verdeutlichen.
VUCA, Fehlerkultur und Agilität
Insbesondere angesichts einer von Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität (kurz VUCA) geprägten Arbeitswelt brauchen wir eine positive Fehlerkultur, um schnell, kreativ und adäquat auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen und sich radikal verändernde Märkte reagieren zu können. Agiles Arbeiten fördert dies, indem Teams selbstorganisierter arbeiten, schneller ins Ausprobieren kommen und iterative Anpassungen vornehmen, statt eine Lösung vorab am Reisbrett zu entwerfen.
Allerdings braucht das Mut und den Willen Verantwortung zu unternehmen, weshalb eine gute Fehlerkultur und ein unterstützendes Umfeld vonnöten sind. Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern stellt das Lernpotenzial und Chancen in den Fokus, statt Schuldige zu suchen und zu bestrafen. Ein wohlwollender Umgang mit Fehlern ermöglicht nicht nur kreativ zu denken, sondern verbessert auch die Zusammenarbeit. Das wirkt sich auch positiv auf die Arbeitsgeberattraktivität aus, zieht jüngeren Generationen an und kann helfen, aktuelle Mitarbeitende zu halten und zufriedenstellen.
Meine Erfahrung in den ersten Wochen bei step IT up consulting
Was eine agile Fehlerkultur ausmacht und welche Aspekte hierbei eine Rolle spielen, durfte ich selbst jüngst bei bei step It up consulting GmbH erfahren. Seit August 2023 bin ich als Agile Coach angestellt und erweitere jeden Tag meinen Horizont, probiere Neues aus und finde mich in unseren selbstorganisierten Strukturen zurecht.
Das sind andere Kontextbedingungen und Themen als in meiner Selbstständigkeit als personzentrierte Coach, Innovations-Facilitatorin und Prozessbegleiterin und steht vor allem im Gegensatz zu meiner Zeit als Wissenschaftlerin. Damals galt es Fehler unbedingt zu vermeiden und alles möglichst gut zu durchdenken, genau zu prüfen und abzusichern, ehe es publik werden darf. Probleme wurden möglichst rational und analytisch angegangen und zwischenmenschliche Dynamiken oft ausgeblendet.
Als Coach Innovations- sowie Prozessbegleiterin bekam ich später viele Einblicke, wie wichtig eine Fehlerkultur für kreatives Denken ist und wie schwer wir Menschen (v.a. wir in Deutschland) uns damit tun. Kreative Zusammenarbeit wird enorm gehemmt durch die Angst vor Fehlern, weil Beteiligte ermutigt werden sollen, Neues auszuprobieren und ihre verschiedenen Kompetenzen und Perspektiven einzubringen.
Als ich bei step IT up anfing machte ich mir auch Druck: ich sah mich mit Tätigkeiten und Tools konfrontiert, mit denen ich keine Erfahrung hatte (z.B. eine Homepage zu gestalten oder mit confluence zu arbeiten). Es kam, wie es kommen musste: ich zerschoss Dokumente, an denen wir gemeinsam arbeiteten, postete Rechtschreibfehler ins WWW, verwechselte Aussagen von Workshopteilnehmenden bei der Übergabe und erstellte Meetings im falschen Kalender. Ich fühlte mich so unsicher, tollpatschig und inkompetent! Aus Sorge etwas falsch zu machen, wurde ich wahlweise aktionistisch-hektisch, oder traute mich nicht Aufgaben anzugehen.
Mit der Zeit stellte ich fest, dass meine Kolleg:innen das gar nicht so schlimm fanden wie ich. Auf meine Fehler reagierten sie weniger mit Schuldvorwürfen, sondern betonten das Lernpotenzial darin und dass ich mich erst zurechtfinden dürfe. Selbst sprachen sie offen über ihre Fehler und wie sie daraus gelernt hatten. Mehrmals wurde ich ermutigt, nicht-optimales Verhalten als erster Schritt und Grundlage für gute Ergebnisse zu betrachten („Wir bauen gerade auch Strukturen auf und werden immer klarer darin, wie wir Anfragen besser und einfacher bedienen können“). Fehler werden demnach auch hinsichtlich ihres produktiven Potenzials betrachtet, um blinde Flecken aufzuzeigen und werden als Grundlage für iterative Verbesserungen verstanden.
Als Neuling im Team sorgte ich mich jedoch, dass mich meine Kolleg:innen aufgrund meine Fehler und Unsicherheit als weniger kompetent und/oder chaotisch festschreiben könnten. Anstatt den Druck in mir durch vermeintliche Souveränität zu überspielen, fasste ich meinen Mut zusammen und sprach über meine Emotionen und die Unsicherheit. Dadurch lernten wir einander besser kennen und ich spürte die zwischenmenschliche Wärme und Herzlichkeit. Auf dieser Basis traute ich mich mehr auszuprobieren und nach Fehlern gezielt um Feedback zu bitten, anstatt mir Sorgen über die vermeintliche Genervtheit meiner Kolleg:innen über meine Fehler und Unsicherheit zu machen.
Dank des agilen Mindset konnte ich zunehmend in einen Lernmodus wechseln und geduldiger akzeptieren, dass ich an manchen Stellen mehr Erfahrung brauche, um reibungsloser zu handeln. Ich finde Fehler machen immer noch nicht angenehm, aber mir gelingt es zunehmend mutiger zu handeln, freier zu denken und dadurch meine Kompetenzen und meine Perspektive konstruktiv einzubringen. Auch zwischenmenschliche Spannungen, aufgrund von Fehlern lassen, sich so besser gestalten. Denn eine agile Fehlerkultur kommt auch da zum Tragen, wie meine Kollegin jüngst kommentierte: „Wir lernen gerade, wie wir gut miteinander arbeiten können und was wir jeweils brauchen“.
Fehlerkultur und psychologische Sicherheit
Was ich mit meinem Beispiel zeigen möchte ist, dass es Akzeptanz, Geduld und psychologische Sicherheit bzw. ein wohlwollendes und auf Lernen ausgerichtetes Umfeld braucht. Nicht alle Persönlichkeitstypen können locker über Fehler lachen und diese auf Fuck-Up-Veranstaltungen zum Besten geben. Wollen wir, dass Mitarbeitende all ihre Kompetenzen einbringen, Verantwortung übernehmen und mutig neue Wege beschreiten, dann sollten wir aktiv an einer Fehlerkultur arbeiten und Raum für zwischenmenschliche Nähe schaffen. Hierzu braucht es einen sicheren Rahmen, in dem Teammitglieder unangenehme Wahrheiten aussprechen, Fehler eingestehen und sich verletzlich und/oder unsicher zeigen dürfen. Gerade weil es für die meisten eine schmerzhafte und unangenehme Erfahrung ist Fehler zu machen, braucht es psychologische Sicherheit im Team sowie eine gute Feedbackkultur und wertschätzender Kommunikation.
Es reicht nicht aus Formate einzuführen, um Fehler zu besprechen. Vielmehr sollten Führungskräfte eine gute Fehlerkultur wirklich vorleben und zenntrale Werte in der Unternehmenskultur verankert werden. Hierbei gibt es allerdings noch erheblichen Handlungsbedarf, wie eine Studie der Universität Luzern [2] jüngst aufgezeigt hat. Demnach sprechen zwei Drittel der befragten Führungskräfte nicht über Fehler, obwohl der starke Einfluss auf die Profitabilität des Unternehmens, seine Innovationskraft und die Qualität der Produkte und Services inzwischen belegt ist. Insbesondere für Berufseinsteiger:innen und neue Teammitglieder gilt, dass diese erst Vertrauen brauchen, um Fehler anzusprechen.[3]
Wenn der Fokus vom Problem zur Lösung verschoben wird und weniger auf ein vermeintliches “Richtig und Falsch” sowie Schuld fokussiert wird, dann verbessert sich auch die Zusammenarbeit im Team. Werden verschiedene Perspektiven zugelassen, werden Teammitglieder eher Verantwortung übernehmen, mutiger und risikobereiter handeln und kreative Lösungen “outside the box” entwickeln, statt Fehler zu vertuschen oder zu wiederholen.
Eine agile Fehlerkultur befähigt Mitarbeitende ihr volles Potenzial einzubringen, neugierig zu sein, Dinge auszuprobieren und iterativ weiterzuentwickeln. Fehler sind dabei weder gut, schlecht, noch egal: sie sind ein Anlass, um sich auszutauschen, warum sie entstanden sind und wie sie in Zukunft vermieden werden können. Dadurch werden nicht nur Organisationen anpassungsfähiger und Teams innovativer, den Menschen geht es auch besser.
Eine gute Fehlerkultur in Organisationen etablieren
Die Art und Weise, wie wir Fehler wahrnehmen und mit ihnen umgehen ist gesellschaftlich geprägt, organisationsspezifisch und abhängig von Persönlichkeitsfaktoren sowie inneren Kompetenzen. Will eine Organisation eine positive Fehlerkultur bei sich etablieren, sollte sie all diese Ebenen adressieren. Die Werte Offenheit, Akzeptanz und die Bereitschaft zur Verbesserung sollten kulturell verankert werden. Es reicht nicht aus, Menschen zu ermutigen aus Fehlern zu lernen, wenn gleichzeitig Schuldvorwürfe, Leistungsdruck, Diskreditierungen und Scham den Umgang prägen. Deshalb braucht es ein unterstützendes Umfeld (psychologische Sicherheit) und einen Rahmen, um sich über Fehler und damit einhergehende Spannungen auszutauschen sowie Führungskräfte, die Fehlertoleranz (vor)leben.
Fehlertoleranz fällt den einen leichter als den anderen und hängt auch mit dem Selbstwertgefühl sowie individuellen Fähigkeiten wie Selbstreflexion, Resilienz, Offenheit für Feedback und Empathie zusammen. Daher ergibt es Sinn, organisationsintern auch den Aufbau innerer Kompetenzen, wie Selbstkontakt, Beziehungskompetenz und Feldkompetenz [1] zu fördern. Workshops zur Teamentwicklung, (Selbst-)Reflexion, Individualcoachings sowie ein bedarfsgerechtes und agiles Weiterbildungskonzept können helfen eine agile Fehlerkultur zu etablieren.
Wie du eine agile Fehlerkultur in deinem Team konkret etablieren kannst
Um eine agile und kollaborative Fehlerkultur bei euch zu etablieren, gibt es abschließend ein paar konkrete Impulse:
Schafft Räume für den authentischen Austausch über Fehler (im Team, der Abteilung und ggf. organisationsweit - hierbei sollten Führungskräfte und CEOs das Thema federführend und anhand eigener Fehler kommunizieren).
Baut Vertrauen auf, um offen über Fehler und damit einhergehende Emotionen, Gedanken und Glaubenssätzen zu sprechen und Schamgefühle zu reduzieren.
Brainstormt, wann Fehler auch produktiv sein können, am besten anhand konkreter Beispiele. Erarbeitet den Zusammenhang zwischen Fehlern und Innovation, Transformation, Uneindeutigkeit bzw. Komplexität.
Erstellt eure „CVs of failure“ und listet erfolglose Bewerbungen, Abbrüche, Lücken, Niederlagen sowie Fähigkeiten, die ihr nicht habt. Stellt sie einander vor und/ oder tauscht euch darüber aus, ggf. als Galerywalk, also CVs an Pinnwände hängen und alle spazieren aufmerksam durch die “Ausstellung”. Um damit einhergehenden Schamgefühlen gut zu begegnen, redet darüber, wie ihr jeweils mit diesen Gefühlen umgegangen seid, oder was ihr aus heutiger Sicht dazu sagen möchtet (siehe hier).
Übt Feedback geben, erfragen und damit umgehen. Fördert zwischenmenschliche Nähe und ein wohlwollenden, unterstützenden Umgang, z.B. indem ihr z.B. Check-ins zu Beginn von Meetings etabliert und einander öfter wertschätzendes Feedback gebt. Hebt dabei Eigenschaften und Beiträge hervor, die ihr hilfreich, innovativ, etc. fandet. Nehmt eine zuhörende Haltung ein und stellt Fragen, statt zu bewerten.
Baut innere Kompetenzen wie Multiperspektivität auf, schult Mitarbeitende darin, dass es kein “richtig” und “falsch”, sondern meist verschiedene Perspektiven und Herangehensweisen gibt, die es zu berücksichtigen gibt. Fehler sind daher nicht nur “falsches Handeln” sondern eröffnen Potenzial, zeigen blinde Flecken und Hindernisse, die noch aus dem Weg geräumt werden müssen.
Fördert den Selbstkontakt von Mitarbeitenden z.B. durch Embodiment-Übungen und Übungen für kreatives Denken, sodass Mitarbeitende lernen ihre Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu kommunizieren.
Fördert Beziehungskompetenzen und Achtsamkeit durch Workshops zu Kollaboration sowie Coaching- und Meditationsangebote, um individuelle Fähigkeiten wie Selbstreflexion, Resilienz, Offenheit für Feedback und Empathie aufzubauen.
Seid Vorbild: Was wirklich zählt ist der alltägliche Umgang miteinander, das offene Akzeptieren von Fehlbarkeit und der Fokus aufs Lernpotenzial
Wenn es euch wirklich ernst ist: gönnt euch eine Prozessbegleitung, um als Team Grundlagen für eine gelungene Kollaboration zu schaffen und/oder schlechte Erfahrungen bzw. eine ungute Fehlerkultur hinter euch zu lassen. Wir von step IT up GmbH unterstützen euch gerne dabei eine agile Fehlerkultur zu kultivieren und besprechen individuelle Formate, um euch bestmöglich zu unterstützen. Eine externe Unterstützung bei der Einführung bedarfsgerechter Formate kann eine agile Fehlerkultur nachhaltig etablieren, die selbstorganisiert funktioniert. Dabei kann an der individuellen Ebene, an Teamdynamiken, in Arbeitsweisen und Organisationsstrukturen angesetzt werden.
Fazit
Weil eine Fehlerkultur angesichts aktueller und zukünftiger gesellschaftlicher Herausforderungen von großer Bedeutung ist, lohnt es sich in eine nachhaltige und agile Fehlerkultur zu investieren. Dadurch wird nicht nur die Innovations- und Anpassungsfähigkeit der Organisation gefördert. Vielmehr wird die Zusammenarbeit in den Teams verbessert und individuelle Bedürfnisse nach Akzeptanz, Weiterentwicklung und Selbstwirksamkeit werden adressiert. Denn am Ende des Tages sind es nicht die Fehler selbst, die zählen, sondern wie wir mit ihnen umgehen und was wir daraus lernen 😉
Wenn ihr rausfinden wollt, wie wir eure Organisation dabei unterstützen können, bucht hier ein kostenfreies Erstgespräch. Wir freuen uns darauf, euch zu unterstützen!
Pst ... Wenn du aus Berlin bist und gern regelmäßig neue Methoden und Tools in einer geschützten Umgebung ausprobieren möchtest, dann ist vielleicht der Agile Salon etwas für dich.
[1] Inner Work
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